FESTREDE ZUM LIBORIKOMMERS 2011 - CV-Zirkel AMICITIA zu Paderborn

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FESTREDE ZUM LIBORIKOMMERS 2011

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Libori  2011   Festkommers

Festrede von Père Marie-Hervé Cotten am 26.07.2011

Heute sind wir viel beschäftigt mit den Konsequenzen der Globalisierung : Die Schuldenkrise hält Europa in Atem, und die Finanzminister sowie die Regierungen suchen nach Lösungen.

Und in diesen neun Tagen der Liboriwoche feiert Paderborn seinen Schutzpatron, den Heiligen Liborius. Steht diese festliche Atmosphäre wirklich in Einklang mit unserer Welt? Können wir über Reliquien sprechen, während gleichzeitig die aktuellen Probleme der EU, der Sozialversicherungen , der Energie oder Integration von Ausländern diskutiert werden? Ist diese alte Tradition wirklich noch vernünftig, wo Frau Merkel und Herr Sarkozy Lösungen für die Probleme des Euros und der Zukunft der Europäischen Union suchen?

Ich vergesse nicht die politische und gesellschaftliche Realität, wenn ich kurz über die ewige Bruderschaft und Freundschaft zwischen Paderborn und Le Mans spreche. Besonders zu Ihnen, dem CV-Zirkel AMICITIA. Denn unsere Bruderschaft ist vom Heiligen Geist inspiriert.

Was sagt Jesus selbst über diese Fraternität? Man kann dazu im Evangelium nach Markus lesen: Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus
stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte
zu ihm:’ Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir’. Er
erwiderte: ‚Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?’ Und er blickte auf die
Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: ’Das hier sind meine Mutter
und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und
Schwester und Mutter’(Markus 3, 31-35).

Jesus erklärt auf diese Weise, dass es nicht Blutsbande, nicht Glaubenstraditionen sind, die uns zu Gotteskindern machen, sondern nur die Befolgung des Willens Gottes, des Vaters mit der Mutterliebe. Die Familie von Jesus sind alle, die seinem Vorbild nachfolgen:
Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein (Lukas 14,27).

Die Seligen und die Heiligen sind unsere Brüder, und insbesondere sind es Liborius, Alderich und Zeugen wie Bischof Badurad. Der erste, von dem ich sprechen werde, ist Liborius, der Nachfolger des Heiligen Pavaclus, einem Freund des Heiligen Martin, der in einer barmherzigen Tat seinen Mantel mit dem Schwert geteilt und eine Hälfte dem Bettler gegeben hat. Liborius war wie Martin: Seine Wohltätigkeit und sein großer Glaube waren ihm Vorbild. Liborius war ein Bote der Liebe Gottes. Man kann in der Präfation der Heiligen lesen: Ihr Zeugnis verleiht uns die Kraft, im Kampf gegen das Böse zu siegen und durch sie die Krone der Herrlichkeit zu empfangen.

Die Heiligen haben in Europa eine sehr große Rolle gespielt: Benedikt von Nursia, Kyrill und Methodius, die Apostel der Slaven. Unsere Kultur ist geprägt durch die christliche Ethik und die religiöse Erfahrung. In einer Ansprache aus dem Jahr 1982 in Santiago de Compostela forderte der Heilige Vater Europa auf: Finde wieder zu dir selbst. Sei du selbst. Entdecke deine Ursprünge. Belebe deine Wurzeln... Du kannst weiterhin Leuchtbogen der Kultur und Antriebskraft für den Fortschritt auf der Welt sein.

Man kann auch von der Bedeutung der Klöster und der Wichtigkeit der Pilgerreisen für Europa sprechen. Goethe behauptet, Europa sei aus der Pilgerschaft geboren und das Christentum sei seine Muttersprache. Und wir, die Bürger von Le Mans und Paderborn, sind sehr von der Pilgerfahrt des Jahres 836 geprägt. Durch die Heiligen bewirkt Gott Wunder, und so ist auch bei uns die ewige Bruderschaft entstanden. Die Initiative hierzu kam aus der Entscheidung von zwei Bischöfen: Alderich von Le Mans und Badurad von Paderborn. Der Schutzpatron meiner eigenen Pfarrgemeinde in Le Mans ist dieser Alderich. Ein weiterer Grund ist, dass unsere Gemeindemitglieder in der Nähe eines alten Aquädukts wohnen, d.h. in der Nähe von mehreren Quellen (allerdings nicht so vielen wie in Paderborn), und dieser Aquädukt wurde vom Bischof Alderich wieder aufgebaut. Alderich ist in Sachsen oder Bayern geboren, und sehr früh war er am Hofe von Karl dem Großen zu Hause, wahrscheinlich als Geisel. Der junge Alderich studierte Theologie und Gesang an der berühmten Schule von Metz, einer bedeutenden Stadt für die Karolinger. Nach der Priesterweihe wird Alderich der Beichtvater von Ludwig dem Frommen. Das bedeutet, dass er ein Mann des Vertrauens war.

Badurad kommt aus einer Adelsfamilie aus Sachsen und wird 815 zum Bischof von Paderborn ernannt. Paderborn war eine strategisch wichtige Stadt, und das Bistum Paderborn wurde 799 durch Papst Leo III und den damaligen fränkischen König Karl den Großen errichtet. Seine Ernennung zum Bischof war ein Zeichen großen Vertrauens. Zu der Zeit war der Besitz von Reliquien sehr wichtig. Mit Leidenschaft machten sich Ekklesiastiker wie Laien auf die Suche nach ihnen, besonders im Bereich der Märtyrer. Die Suche nach Reliquien war ein Hauptgrund für Reisen nach Spanien oder Karthago in Nordafrika, so wie es die Mönche von Saint Germain des Prés machten. Unsere beiden Bistümer sind so miteinander verbunden durch Reliquien, aber auch durch gegenseitige Treue. Die Treue ist sehr wichtig, um Freundschaft zu vertiefen.

Diese Entscheidung der Überlassung der Reliquien wurde auf der Synode von 813 getroffen. Vor der Abreise aus Le Mans im Jahre 836 beschlossen die Paderborner Gesandten mit Bischof Alderich eine spirituelle Verbrüderung zwischen den beiden Domkapiteln.

Ein Zeuge der Übertragung der Reliquien des Heiligen Liborius, der Diakon Erconrad, verfasste seinerzeit einen Bericht über die Translation des Heiligen. So schreibt er: Als nun der schon genannte Oberhirte (Alderich) und jene Priester (unter denen sich die Abgesandten des Bischofs von Paderborn befanden) in die vorgenannte Kirche (gemeint ist die Grabeskirche des Hl. Liborius in Le Mans) unter dem Gesang von Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern mit Kreuzen, Evangelienbüchern, Lichtern, in liturgische Gewänder gekleidet, gekommen waren, verbreitete sich in ihren Sinnen ein solcher Duft, wie ihn kein Arzt mit allen Arten von Gewürzen zusammenstellen oder bereiten kann.

Die ewige Freundschaft beginnt mit einer Liturgie, und dann wird unsere gemeinsame Geschichte selbst zu einer Liturgie der Fraternität. Ein Briefwechsel im 13. Jahrhundert gibt Zeugnis vom aktiven Leben zwischen den beiden Domkapiteln und von der Sorge der Domherren von Le Mans um das geistliche Leben im Dom zu Paderborn und die Zukunft des Bischofssitzes. Die Domherren haben Angst vor der Entwertung der Reliquien. Das Domkapitel von Paderborn beruhigt sofort die Diözese von Le Mans: Jeden Tag beten sie für Le Mans und seine Diözese.

Aber es gibt auch konkrete Situationen, wo die Freundschaft von ganz großer Hilfe ist. Während des Dreißigjährigen Krieges ist die Realpolitik am Ende, und es geht um die Aufteilung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation . So muss Paderborn nach dem Westfälischen Frieden wieder zum Großherzogtum Hessen gehören. Das Paderborner Domkapitel, unterstützt durch das Bruderbistum Le Mans, wandte sich während der Friedensverhandlungen an den französischen königlichen Minister Kardinal Mazarin, einem Spezialisten der Realpolitik. Daraufhin versprach Ludwig XIV, die Interessen des von seinem Vorgänger Karls des Großen gegründeten Bistums Paderborn gegen jedermann zu schützen. Die Franzosen witterten, dass Paderborn ihnen noch nützlich sein könnte. So musste sich Hessen mit einer Geldentschädigung abfinden, und Paderborn blieb frei. Liborius bedeutet auf Latein liber, d.h. frei. Auch während des Siebenjährigen Krieges kommt konkrete Hilfe aus Frankreich, und Paderborn bekommt finanzielle Solidarität aus Le Mans. Auf  der anderen Seite muss während der Revolution von 1795 der Bischof von Le Mans, Herr von Jouffroy Gonssans, fliehen. Er wird vom Bischof von Paderborn sowie einigen Priestern der Diözese aufgenommen und stirbt später auch hier.

Und es ist auch kein Zufall, sondern Frucht dieser ewigen Freundschaft, dass – viel später -  ein Mann wie Franz Stock auf den Plan tritt. Franz Stock, Priester der Diözese von Paderborn, war der erste deutsche Student an der katholischen Universität von Paris und später Rektor der Deutschen Mission dort, vor und nach dem 2 . Weltkrieg. Er ist  in die Geschichte eingetreten als „Kaplan der Hölle“, als Beichtvater der zum Tode Verurteilten der Résistence und danach als Rektor des Seminars des Gefangenenlagers in der Nähe von Chartres, wo deutsche Theologiestudenten als Kriegsgefangene eingesperrt waren. Er war ein Prophet unserer Zeit: Voller Respekt für die Kulturen der Anderen und Bruder aller Menschen. Franz Stock war ein Prophet der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland.
Und Robert Schuman, einer der Väter Europas, findet, dass Franz Stock für den Aufbau Europas mehr als die meisten Politiker geleistet habe.

Und ich erwähne auch Vater Diebecker, auch Priester in Paderborn. Er hat Franz Stock gekannt und war Gefängnispfarrer deutscher Gefangener in Mulsanne. Als er mit seiner Aufgabe fertig war, bekam er die Inspiration, eine Reise nach Le Mans zu organisieren. Es war nach dem Krieg nicht die Mode, eine Reise ins Ausland zu machen, und es war auch sehr kompliziert. Und in diesen Jahren sprach man mehr von einem 3. Weltkrieg mit der UdSSR als von der Versöhnung zwischen unseren beiden Ländern. Diese Reise nach Le Mans, geleitet von Pfarrer Diebecker, fand im Jahr 1951 statt, und eine weitere Reise – mit Studenten -  fand in umgekehrter Richtung, d.h. von Le Mans nach Paderborn statt.

Im Jahre 1960 wurde die Fraternität „Saint Liboire“ und eine Liboriusgesellschaft von den zwei Priestern Schwingenheuer und Leboisne gegründet. Diese Fraternität fördert Opfergaben und Gebete in den beiden Diözesen.
Was die Gebete anbelangt, so beten die Priester bei Gott für die Verkündigung des Evangeliums, für den Schutz der zwei Städte, für Priesterberufungen, die Pastoralarbeit und das geistliche Leben in den beiden Diözesen.
Opfergaben bedeutet eine konkrete Unterstützung zwischen  den Diözesen. Aus dem Geist von Liborius kommt die Hilfe der Diözese von Paderborn für die Bauwerke von St. Thérèse, St. Liboire und die Unterstützung des Priesteraltenheims St. Alderich. Mehrere Priester aus Paderborn haben sich in unserer Diözese aufgehalten (von einigen Monaten bis hin zu einigen Jahren). Mehrere Begegnungen haben stattgefunden zu so verschiedenen Themen wie: Die Jugendsituation in unseren zwei Ländern, Aufbau Europas, Islam, Liturgie...

Und ich muss auch die Partnerschaft zwischen unseren beiden Städten nennen: 1967 haben die Oberbürgermeister Tölle und Jacques Maury einen Partnerschaftsvertrag unterschrieben. Darüber hinaus gibt es auch die vielen persönlichen Kontakte, die so wichtig und so nützlich sind. Und außerdem die Verehrung des Heiligen Liborius in vielen anderen Ländern. Und letztlich die vielen Begegnungen der Menschen bei den Festen St. Julien und Libori. Das alles ist sehr wichtig.

Die Globalisierung ist Zeichen unserer Zeit, aber gerade heute scheinen viele Menschen in Europa ohne Hoffnung zu sein. So stellt das nachsynodale Schreiben „Europa in Ecclesia“ fest: Und so wird die auf einen der Transzendenz verschlossenen innerweltlichen Raum eingeengte Hoffnung zum Beispiel mit dem von Wissenschaft und Technik versprochenen Paradies identifiziert oder mit verschiedenen Formen des Messianismus, mit dem vom Konsumismus vermittelten Glück hedonistischer Natur oder mit jenem imaginären, von Drogen künstlich ausgelösten Glücksgefühl, mit manchen Formen des Chiliasmus, mit der Faszination orientalischer Philosophien, mit der Suche nach Formen esoterischer Spiritualität und mit den verschiedenen Strömungen von New Age .

Der Fortschritt ohne Erinnerung an die Vergangenheit ist kein Fortschritt für den Menschen. Die heutige Gesellschaft ist weltweit vernetzt, aber die Menschen haben echte Schwierigkeiten, dauerhaft zu lieben. Unsere beiden Städte haben eine besondere Berufung für Frieden und Freundschaft in Europa. Kardinal Degenhardt hatte die geistliche Intuition, die Liborimedaille für Einheit und Frieden zu stiften. Fünf bedeutende Persönlichkeiten in Europa haben sie schon erhalten. Es geht darum, Europa ein Gesicht zu geben, indem man unter Berücksichtigung seines religiösen Erbes das Fundament legt für die Rechte der Völker, die Europa bilden. Dieses Europa braucht eine menschliche Gemeinschaft, auch in der Wirtschaft und in der Technik. Otto von Habsburg, einer der Preisträger der Liborimedaille, drückte sein Bedauern folgendermaßen aus: Es ist eine tragische Tatsache, dass heute auch in unserem öffentlichen Leben der Name des Allmächtigen kaum mehr erscheint. Und dies sagte er im Jahr 2002.

Die menschliche Bruderschaft ist unbedingt notwendig! Gott ist unentbehrlich für uns Menschen. Der Heilige Liborius ist bekannt als Fürbitter und Helfer bei Nierenleiden, und die Nieren sind laut biblischer Vorstellung der Sitz des persönlichen Gewissens des Menschen.

Heiliger Liborius, wir brauchen die Hilfe Gottes, um unser Gewissen zu prüfen und damit Europa sich für seine wahre Aufgabe in  der globalisierten Welt öffnet, nämlich Frieden und menschliches Miteinander herzustellen.








 
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